„Die Unfallchirurgie in Deutschland - unsere Verantwortung und Verpflichtung“
PresseDKOU
TNT-Jahreskongress

Viele neue Pläne für die Schwerverletztenversorgung

Impressionen des NIS-Jahreskongresses 2014 | © Miriam Buchmann-Alisch

Traumazentren und -netzwerke im internationalen Vergleich, Pläne für einen Kriterienkatalog zur Schwerverletzten-Reha und zahlreiche aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in der Schwerverletztenversorgung – das waren einige der Highlights des ersten gemeinsamen Jahreskongresses von TraumaNetzwerk DGU®, TraumaRegister DGU® und der Sektion Notfall‐, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung (NIS), der am 12. September 2014 am Universitätsklinikum Düsseldorf stattfand.

TNT(1) hieß das Motto, mit dem bereits der Flyer für „(Spreng-)Kraft in der Diskussion neuer Entwicklungen“ warb. Ganz befriedigt konnte man aber zunächst auf die Entwicklungen im TraumaNetzwerk DGU® (TNW) zurückblicken, als Dr. Christian Kühne vom Uniklinikum Marburg die neuesten Zahlen vorstellte: 903 Kliniken hatten sich bis dato angemeldet, 98 überregionale Traumazentren waren zu vermelden, und mit 300 Traumazentren in 48 zertifizierten Trauma-Netzwerken ist mittlerweile mit 98,7 Prozent der allergrößte Teil Deutschlands abgedeckt. Ende September waren bereits 454 Kliniken reauditiert, 22 folgen noch in diesem Jahr. Für 2015 sind weitere 189 Reauditierungen geplant.

Rehabilitation von Schwerverletzten: bundesweit einheitliche Voraussetzungen schaffen

Neben einer dritten Auflage des „Weißbuchs Schwerverletztenversorgung“ ist ein wichtiges Ziel für das kommende Jahr die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs „Schwerverletzten-Reha“, um die Anforderungen an Rehabilitationseinrichtungen zu definieren, die eine postakute Rehabilitation nach schwerer Unfallverletzung anbieten. Als Grundlage hierfür wurde bereits eine bundesweite Umfrage zur Rehabilitation von Schwerverletzten im Akutkrankenhaus durchgeführt. Ermittelt wurden unter anderem die Anzahl der Rehakliniken und Betten pro Bundesland, die Versorgungsfläche pro Rehaklinik sowie die jeweilige personelle, apparative und organisatorische Ausstattung. Im Ergebnis überraschte die große Zahl an Rehakliniken und -betten: 551 Rehakliniken, 95.563 Betten insgesamt sowie 45.444 traumatologisch-orthopädische Betten. Es zeigten sich aber auch erhebliche demografische und strukturelle Unterschiede. Neben der Gründung eines Netzwerks ähnlich dem TNW, um bundesweit einheitliche Voraussetzungen zu schaffen, ist auch ein Register geplant. „Denn unser Wissen über die Rehabilitation von Schwerverletzten reicht nur über 90 Tage. Wir wissen aber beispielsweise nicht, wie es ihnen nach einem Jahr geht“, erklärte Kühne. 

In einem internationalen Vergleich des TraumaNetzwerks DGU® mit Traumazentren und -netzen in den USA, England und Kanada analysierte Prof. Steffen Ruchholtz insbesondere folgende Aspekte: Vorhandensein eines Weißbuch, eines lokales Audits, einer regionalen Vernetzung, eines Traumaregisters und von Leitlinien. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf eine 2006 erschienene Studie von Ellen MacKenzie, die in den USA gezeigt hatte, dass durch die Einrichtung von Traumazentren die Qualität der Schwerverletztenversorgung deutlich angehoben und die Letalität um 25 Prozent gesenkt werden konnte. Ein Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass es in den USA keine übergeordnete Organisation und keine regionale Vernetzung der Traumazentren gibt. Annähernd ähnlich ist dagegen mit etwa 91 Prozent eine große Abdeckung der Bevölkerung. Mit der „National Trauma Data Bank“ gibt es in den USA auch ein Register. „Das Register ist zwar nicht so detailliert wie unseres in Deutschland. Doch es ist durchaus beeindruckend, wie groß mittlerweile auch in den USA die Durchdringung und Erfassung ist“, sagte Ruchholtz. Insgesamt stellte er fest, dass die Daten aus den untersuchten Ländern sich aufgrund unterschiedlicher Bevölkerungsdichte sowie unterschiedlicher Gesundheitssysteme und Komponenten nicht ohne Weiteres miteinander vergleichen lassen.

Nach diesem Ausblick über den Tellerrand kehrte Prof. Gerrit Matthes vom Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) zur Versorgungsrealität in deutschen Kliniken zurück, indem er die Abläufe in einem Traumanetzwerkan der Schnittstelle zwischen prähospitaler und innerklinischer Traumaversorgung analysierte. Gemeinsam mit der Berliner Feuerwehr als Rettungsdienstpartner war eine Umfrage initiiert worden, welche die Zufriedenheit sowohl des Rettungsdienstpersonals als auch des Schockraumteams mit der Übergabe und der Versorgung durch das jeweils andere Team ermitteln sollte. Einschlusskriterien für die Befragung der Teams waren die Erstversorgung des Patienten durch den Rettungsdienst, die primäre Aufnahme über den Schockraum sowie die sekundäre Zuverlegung aus einer TNW-Klinik. Die Ergebnisse der Befragungen waren weitgehend positiv: geringe Wartezeiten bei der Übergabe und eine gute Übergabekooperation.

Trauma Papers of the Year

Im Anschluss daran stellte Dr. Heiko Trentzsch vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) aus München die „Trauma Papers of the Year“ vor (s. unten), die das NIS-Board jährlich aus den Vorschlägen der Sektionsmitglieder auswählt und bewertet. Am besten bewertet wurde eine retrospektive Diagnostikstudie von Dr. Dirk Stengel et. al, die die Treffsicherheit der Ganzkörper-Computertomographie mit Fokus auf negativen Befunden untersuchte. Eine der Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen: Negatives Trauma-CT ist kein Ersatz für Überwachung und klinische Verlaufskontrollen. Die positive Beurteilung des begutachtenden NIS-Boards: eine methodisch sehr gute Studie mit transparenter Darstellung und hoher externer Validität. Auf Platz zwei und drei kamen eine Studie aus Japan zur Etablierung einer Handlungsvorschrift für eine sichere und effektive Interpretation von CT-Bildern für Ärzte in Notaufnahmen sowie eine spanische Studie, die untersuchte, ob sich durch ATLS-Schulungen die Rate vermeidbarer Todesfälle reduzieren lässt. Bei diesen beiden Studien wurden allerdings methodische Schwächen festgestellt, die eine Übertragbarkeit nicht ohne Weiteres zulassen. Im zweiten Teil dieser Session wurden außerdem die drei wichtigsten Publikationen aus dem TraumaNetzwerk DGU® durch die jeweiligen Autoren vorgestellt (s. unten). 

In der Session „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ kamen drei wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Versorgungsalltag in den Blick. Dr. Denis Gümbel aus Greifswald analysierte Evidenz und Versorgungsrealität beim Umgang mit offenen Frakturen. Fazit der hierzu durchgeführten Umfrage: Vor allem in den Bereichen der Klassifikation, der notfallmedizinischen Erstbehandlung, der Osteosyntheseverfahren, der Antibiotikatherapie sowie des Weichteilmanagements gibt es kein einheitliches Behandlungskonzept in Deutschland. Daher sieht Gümbel die Notwendigkeit weiterer klinischer Studien und evidenzbasierter Leitlinien.

Dr. Antonio Ernstberger aus Regensburg befasste sich mit dem Einfluss von Versorgungsdichte und Versorgungslevel der neurochirurgischen Kompetenz im TraumaNetzwerk DGU®. Dabei standen insbesondere Fragen der Verteilung, der Therapie und der Ergebnisse bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma im Mittelpunkt. Untersucht wurden überregionale, regionale und lokale Traumanetzwerke mit und ohne Neurochirurgie. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehörte, dass die Patienten durchaus in die für sie geeignete Klinik gebracht werden, weiteres Arbeiten an der Ergebnisqualität aber nötig sei und teleradiologische Anwendungen weitere Möglichkeiten eröffnen könnten.

Erstmals Nachweis eines Fallzahleneffektes 

Dr. Stefan Huber‐Wagner aus München untersuchte Fallzahlen unter der Fragestellung, ob bei der Versorgung Schwerverletzter ein Zusammenhang zwischen Patientenfallzahl pro Traumazentrum pro Jahr und der Mortalität besteht. Hierfür wurden Daten aus dem TraumaRegister DGU® zwischen 2009 und 2012 ausgewertet. Erstmals konnte damit der Nachweis eines Fallzahleneffektes für die Schwerverletztenversorgung in der Bundesrepublik erbracht werden. 

Dass das TraumaRegister DGU® fortlaufend weiter optimiert wird, zeigten einige Kurzvorträge zu formalen und inhaltlichen Neuerungen. Prof. Rolf Lefering vom Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) in Köln stellte die Vorteile der neuen Schweregrad-Adjustierung mit „RISC 2“ vor, einem Update des für das TraumaRegister DGU® eingesetzten Revised Injury Severity Classification Scores. Dr. Ulrike Nienaber von der Akademie der Unfallchirurgie (AUC) beschrieb die Möglichkeiten des Daten-Imports, Publikationsrichtlinien sowie die wissenschaftlichen Auswertungsmöglichkeiten des TraumaRegisters DGU® auch für externe Institutionen. Dr. Mario Perl von der BG Unfallklinik Murnau erläuterte die automatisierte Datenübertragung von Präklinikdaten an das TraumaRegister DGU® über ein elektronisches Notfallprotokoll und Dr. Axel Franke vom Bundeswehrkrankenhaus Koblenz stellte das Schuss- und Explosionsregister „SEX‐Reg“ vor. 

Traditionsgemäß endete der Kongress mit der Ausgabe des Jahresberichts 2014 von TraumaRegister DGU® und AKUT, der eine positive Bilanz zieht: 2013 konnte die Zahl der aktiv teilnehmenden Kliniken weiter gesteigert werden. Auch die Anzahl der dokumentierten Patienten ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Insgesamt umfasst das TraumaRegister DGU® mittlerweile rund 160.000 Patienten.

„Mit 300 Teilnehmern und vielen neuen Impulsen war dies ein sehr gelungener Kongress. Gratulation für die vielen guten Ergebnisse“, resümierte DGU-Generalsekretär Prof. Reinhard Hoffmann. „Wir sollten überlegen, dieses Joint Meeting zukünftig zum Standard zu machen.“

Miriam Buchmann-Alisch

(1) TNT = TraumaRegister DGU® / NIS / TraumaNetzwerk DGU®

Die drei wichtigsten Publikationen aus dem TraumaNetzwerk DGU®

  • Factors influencing lengths of stay in the intensive care unit for surviving trauma patients: a retrospective analysis of 30,157 cases (Critical Care 2014), A. Böhmer, K. Just, Köln
  • Survival benefit of helicopter emergency medical services compared to ground emergency medical services in traumatized patients (Critical Care 2014), H. Andruszkow, Aachen
  • The role of gender in severely traumatized patients on outcomes: A Matched‐pair analysis (Ann Surg 2014); H. Trentzsch, München

 

Trauma Papers of the Year 

  • Accuracy of single-pass whole-body computed tomography for detection of injuries in patients with major blunt trauma, D. Stengel et al. CMAJ. 2012, 184(8): 869-76.
  • Establishment and implementation of an effective rule for the interpretation of computed tomography scans by emergency physicians in blunt trauma, Y. Ikegami et al. World J Emerg Surg. 2014, 27(9): 40ff.
  • Impact of ATLS training on preventable and potentially preventable deaths, World J Surg. 2014, 38(9): 2273-8
  • Mitglied werden Mitglied werden
  • Kontakt Kontakt