Konkret forderte Orthopäden-Präsident Grifka, in allen Bundesländern das Konzept "Rückenschule in der Schule" zu verwirklichen. Bereits Grundschüler litten unter Verspannungen der Rückenmuskulatur, Fehlhaltungen und beginnenden orthopädischen Schäden. In einer explorativen epidemiologischen Studie zeigte sich eine Dreimonatsprävalenz von Rückenbeschwerden bei Kindern und Jugendlichen von 32,9 Prozent, mit dem höchsten Anstieg bei 12- bis 15jährigen. Im Erwachsenenalter sind Rückenschmerzen der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit (27 Prozent der Arbeitsunfähigkeits-Fälle, 40 Prozent der Arbeitsunfähigkeits-Tage), für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen (30 Prozent) und vorzeitige Berentung wegen Erwerbsunfähigkeit (23 Prozent).
Haltungsschäden würden oft zu spät bemerkt oder gar verharmlost, betont Grifka. Um dieses Problem proaktiv anzugehen, hätte die Orthopädische Universitätsklinik Regensburg/Bad Abbach ein Konzept zur "Rückenschule in der Schule" entwickelt und in einer prospektiv randomisierten Studie mit Kontrollgruppe und Anwendungsgruppe bei Fünftklässlern auf seine Wirksamkeit geprüft. Die Unterrichtseinheiten seien sowohl in den Sportunterricht (richtiges Tragen, Heben, Sitzen und gezieltes Rückenmuskeltraining) als auch den Natur- und Technik- Unterricht (Anatomie, Biomechanik und Belastung der Wirbelsäule) integriert worden.
"Rückenschule in der Schule" - Investition in die Kindergesundheit
Die Studie habe eine deutliche Besserung der Rückenmuskulatur, der Haltung und einen spezifischen Wissensstand zur Rückengesundheit nachweisen können. Aufgrund dieses Erfolges sei dieses präventionsbezogene Rückenprogramm nun auf weitere Schulen in der Oberpfalz ausgedehnt worden. Grifka wörtlich: "Wir halten einen deutschlandweiten Einsatz eines solchen Programms für geboten. Langfristig werden wir so erhebliche Kosten für die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen und anderen Rückenerkrankungen sparen."
Dazu müsste jedoch heute investiert werden, zum Beispiel von den Kultusministerien und Krankenkassen. Insgesamt müssten die Bewegungsmöglichkeiten für Schüler deutlich verbessert werden, auch durch angeleitete und systematisierte Bewegungsangebote in mehreren Schulstunden pro Tag.
95 Prozent der tödlichen Kinderunfälle sind vermeidbar!
"Im Kindes- und Jugendalter sterben mehr Kinder an den Folgen von Unfällen als an Krebs und Infektionskrankheiten", betont DGU-Präsident Ekkernkamp. Unfälle seien nach dem ersten Lebensjahr die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Insgesamt müssten pro Jahr rund 1,9 Millionen Kinder aufgrund eines Unfalls ärztlich behandelt werden, davon zehn Prozent in Krankenhäusern. Im Jahr 2006 erlitten insgesamt 336 Kinder einen tödlichen Unfall. Die häufigsten Ursachen seien Ersticken, Stürze, Brände, Ertrinken sowie Straßenverkehrsunfälle. Dabei seien Kinder besonders häufig als Fahrradfahrer und Fußgänger betroffen.
"Nahezu alle tödlichen Kinderunfälle könnten heute durch gezielte und ausreichend dimensionierte Prävention verhindert werden", erklärt Ekkernkamp. Doch derzeit verfüge Deutschland im Gegensatz zum Beispiel zu Österreich, den Niederlanden, Dänemark und England nicht über eine systematische und kontinuierliche bevölkerungsbezogene Unfallstatistik (Monitoring). Dies führe zu einer unzureichenden Datenlage, die wiederum eine systematische Prävention erheblich erschwere.
Für erfolgreiche Prävention müssen wir mehr über Kinderunfälle wissen
Ekkernkamp forderte im Rahmen der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zukünftig eine kontinuierliche Datenerhebung von Unfällen im Kindes- und Jugendalter durch Einführung eines nationalen Überwachungssystems (National Surveillance System) nach europäischem Standard. Auf dieser Grundlage könnten dann die spezifischen Ursachen von Kinderunfällen deutlich besser erforscht werden. "Wir müssen ein Kinder-Traumaregister nach dem Vorbild des Traumaregisters für Schwerstverletzte der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie etablieren", sagt Ekkernkamp. "Nur so ist eine wirksame Prävention, die wir dringend benötigen, möglich", so Ekkernkamp weiter.
Bekannt sei schon jetzt, dass Kinder mit einem höheren Body Mass Index (BMI) sowie Kinder mit Migrationshintergrund deutlich unfallgefährdeter seien: Kinder in Deutschland bewegten sich im Schnitt nur 15 bis 30 Minuten pro Tag und hätten einen um 23 Prozent höheren BMI. Kinder mit Migrationshintergrund verunfallten häufig in den Abendstunden. Beide Problemfelder gelte es, genau zu analysieren.
In diesem Zusammenhang plädierte der Unfallchirurgen-Präsident für die Entwicklung gezielter und nachhaltiger Präventionskampagnen für Hochrisikogruppen. Hierbei seien Präventionsmaßnahmen mit multipler Strategie nachgewiesener Maßen erfolgreicher, zum Beispiel eine Kombination von Information, rechtlichen Vorschriften, erzieherischen Aktivitäten und finanziellen Anreizen. Internationale Forschung zeige auch, dass die Einbeziehung eines gewissen Gruppendrucks ("Peer pressure") die Effektivität von Präventionsmaßnahmen erhöhen würde.