PresseDKOU
Forschung und Wissenschaft

„Der Arthroskopie keinen Stellenwert einzuräumen, ist absolut verkehrt“

© Peter Atkins / Fotolia

Welche Rolle spielt die Arthroskopie bei der Therapie von Gonarthrose? Keine, da keine Nutzenbelege vorlägen, sagt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seinem Mitte Mai erschienenen Abschlussbericht – und hat damit bei Orthopäden und Unfallchirurgen viel Kritik hervorgerufen.

Für den Report zur Nutzenbewertung „Arthroskopie bei Gonarthrose“ hatte das Institut auch Gutachter der Fachgesellschaften eingeladen, deren Input aber nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Die Experten aus Orthopädie und Unfallchirurgie identifizieren drei grundlegende Probleme bei der Bewertung der Therapieverfahren durch das IQWiG: die ausschließliche Bezugnahme auf prospektiv randomisierte klinische Studien (PRCS), die Nichtberücksichtigung des Krankheitsverlaufs und des Grads der Arthrose sowie die polarisierende Darstellung des Themas in der Öffentlichkeit, die dem einzelnen Patienten schade.

„Ausschließlich PRCS zur Nutzenbewertung einer klinischen Methode zu berücksichtigen, ist aus unserer Sicht ein fragwürdiges und nicht akzeptables methodisches Verfahren“, sagt Priv.-Doz. Dr. Ralf Müller-Rath vom Berufsverband der Arthroskopie (BVASK). Eine Vielzahl der orthopädischen chirurgischen Verfahren sei durch Studien dieser Art im Langfristverlauf nicht abgesichert, sondern basiere auf Erfahrungen, retrospektiven Studien oder prospektiven Kohortenstudien – in vielen Fällen enthalten sie aber keinen Vergleich zu einer randomisierten Kontrollgruppe. Dies läge daran, dass es häufig ethisch oder versuchstechnisch gar nicht möglich sei, eine adäquate Vergleichsgruppe aufzubauen.

„Es entsteht ein völlig verzerrtes Bild“

„Obwohl also der überwiegende Anteil der Literatur zu dem Thema der Arthroskopie bei Gonarthrose nicht randomisiert prospektiv sind, finden sich deren Ergebnisse in der gesamten Bewertung des IQWiG nicht wieder“, sagt Müller-Rath. „Dadurch, dass die große Zahl von Studien niedrigerer Evidenzklassen nicht gewürdigt wird, entsteht ein völlig verzerrtes Bild.“ Das IQWiG hatte auf 11 prospektiv randomisierte klinische Studien Bezug genommen und sich schließlich im Kern auf die Auswertung von nur einer Studie beschränkt, die allerdings wegen handwerklicher Fehler schon seit längerem in der Kritik steht.

Ein zweites Problem sei das fehlende Verständnis der Arthrose in ihrem Krankheitsverlauf, das sich darin zeige, dass die chirurgische Technik beispielsweise mit der Kontrollgruppe Physiotherapie verglichen werde. Denn dies führe zu folgendem Ergebnis: Wenn die nicht invasive Behandlungstechnik Physiotherapie dasselbe Resultat erzeugt wie die Arthroskopie, dürfe man die Arthroskopie nicht anbieten. „Allerdings haben viele Patienten ja Krankheitsverläufe über Jahre, teilweise über Jahrzehnte hinweg“, sagt Müller-Rath. „Diese Vergleichskonstellation Arthroskopie versus Physiotherapie ergibt sich in der normalen Versorgungssituation überhaupt nicht. Selbstverständlich beginnen wir zunächst mit der konservativen Therapie. Aber was machen wir konkret mit dem Patienten, der nach Physiotherapie trotzdem Beschwerden hat?“ Darauf gebe der IQWiG-Bericht keine Antwort. „Wir plädieren dafür, die Therapie in einer Art von Stufenbehandlung aufzubauen.“ Hierbei sei Arthroskopie nach erfolgloser konservativer Therapie ein sinnvolles Mittel, um Patienten mit langem Krankheitsverlauf für ein paar Jahre wieder mehr Lebensqualität zu verschaffen. 

Als drittes Problem nennt Müller-Rath die öffentliche Darstellung: „Das IQWiG hat einen Entwurf für eine Patientenbroschüre zum Thema Arthrose entwickelt, in der praktisch vor Arthroskopie gewarnt wird. Das ist schon aggressiv tendenziös. Der Arthroskopie überhaupt keinen Stellenwert einzuräumen, ist absolut verkehrt.“

Diese unipolare Darstellung bemängelt auch Prof. Hermann Mayr, Präsident der Deutschen Kniegesellschaft, einer Sektion der DGOU. „Die berücksichtigten Kriterien sind nach unserem Ermessen nicht ausreichend differenziert. Natürlich ist die Arthroskopie bei Arthrose sehr kritisch zu betrachten“, sagte Mayr. So sei sie nicht primär ein Instrument, die Arthrose zu behandeln, sondern könne allenfalls Begleitpathologien der Arthrose adressieren, wie zum Beispiel eingeschlagene Meniskuslappen oder abgescherte große Knorpellappen, solange die Arthrose nicht zu weit vorangeschritten ist. 

„Begleitpathologien und Schweregrad der Arthrose differenzieren“

„Wichtig ist bei der arthroskopischen Therapie der Arthrose, die Begleitpathologien und den Schweregrad der Arthrose zu differenzieren. Es ist beispielsweise unsinnig, bei schweren Arthrosen mit starken Achsabweichungen des Beines eine Arthroskopie durchzuführen. Das wissen wir, das haben viele Studien belegt“, sagt Mayr. „Aber es ist nach wie vor sowohl aufgrund unserer Beurteilung als auch nach der Studienlage indiziert, bei mäßig ausgeprägten und mittelgradigen Arthrosen eine Arthroskopie durchzuführen, um mechanische Hindernisse aus dem Gelenk zu entfernen.“ Außerdem gebe es Spezialindikationen wie die rheumatoide Arthritis, bei der durch die Entfernung der Gelenkschleimhaut bei mäßigen und bei mittelgradigen Arthrosen der Entzündungsvorgang gestoppt werden kann. „In der pauschalisierten Beurteilung durch das IQWiG ist all dies nicht erfasst.“ 

Auch Prof. Roland Becker von der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA), einer Sektion der DGOU, sieht die Gefahr, „dass man versucht, Krankheitsbilder extrem zu pauschalisieren und in Schubladen zu packen.“ Der einzelne Patient mit seinen spezifischen Beschwerden rücke bei einer solchen Pauschalisierung der Indikationsstellung in den Hintergrund. „Extrem viele Patienten fallen durchs Raster, das finde ich gefährlich.“ 

Becker weist auf die Problematik hin, dass eine evidenzbasierte Medizin für viele Behandlungsstrategien meist schwer durchführbar ist: „Allein bei der Ethikkommission ein zusätzliches Röntgenbild durchzubekommen, ist schwierig, da ethisch fragwürdig. Ein Dilemma, mit dem wir es immer wieder zu tun haben.“ Kontrollmechanismen seien sehr wichtig, damit Medizin auch im Kostensektor nicht ausufere. Allerdings solle dies nicht dazu führen, die Medizin zu sehr zu vereinfachen. Becker fordert daher: „Es sollte zwischen den Kontrollorganen und den Experten weitaus mehr Kommunikation geben.“

Grundlegende Bedenken gegen die allgemeinen Methoden des IQWiG hat die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) auch in einer eigens beauftragten „Methodenkritik“ dargelegt (s. hierzu das Interview Opens external link in new window„One-fits-All-Methodenbericht ist nicht zeitgemäß“). Grundsätzlich wünschen sich die Fachgesellschaften, in Zukunft früher in die thematische Kommunikation eingebunden zu werden. 

  • Mitglied werden Mitglied werden
  • Kontakt Kontakt