Als erstes Kriterium für eine aktive Förderung von Vereinbarkeit von Beruf und Familie nennt die Checkliste „Das familienfreundliche Krankenhaus“ im Handbuch der Bundesärztekammer, dass Eltern- und Schwangerschaft sowie die Pflege von Angehörigen als natürliche Lebensereignisse und nicht als Störfaktoren der klinischen Organisationsabläufe wahrgenommen werden dürfen.
Einer der wichtigsten Bestandteile familienfreundlicher Maßnahmen ist laut Umfragen eine klinikeigene Kindertagesstätte. Vorreiter in dieser Hinsicht war die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau, deren Kita bereits seit 1977 existiert und heute 125 Plätze für die Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses bietet. Das Altersspektrum reicht von der 9. Lebenswoche bis zum 11. Lebensjahr. Um zwei Schichten vollständig abzudecken, hat sie an 365 Tagen im Jahr von 5:30 bis 21:30 Uhr geöffnet, also auch an Wochenenden und Feiertagen. Die Betreuung erfolgt während der Arbeitszeiten der Mütter und Väter, aber auch außerhalb der Arbeitszeit, soweit Kapazitäten frei sind. So können teilzeitbeschäftigte Mütter ihre Kinder beispielsweise auch während eigener Krankheitszeiten unterbringen. Zudem werden auch Kinder mit medizinischen Problemen betreut, da eine Kinderkrankenschwester zum Kita-Personal gehört.
„Kita für alle, die Schichtarbeit leisten“
Mittlerweile betreiben rund 20 Prozent aller Kliniken in Deutschland eine Kindertagesstätte (Deutsches Krankenhausinstitut 2008). Doch gibt es große Unterschiede, zum Beispiel, was die Öffnungszeiten anbelangt. „Viele Klinik-Kitas sind aufgrund ihrer eingeschränkten Öffnungszeiten vorwiegend für die Unterbringung von Kindern des Verwaltungspersonals geeignet“, sagt Dr. Astrid Bühren, Ehrenpräsidentin des Ärztinnenbundes. „Das unterscheidet sie leider nicht wesentlich von jeder anderen Kita.“
In einer 2011 durchgeführten Online-Umfrage des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen (BDC) zu familienfreundlichen Krankenhäusern gaben rund 40 Prozent der Befragten an, dass ihre Klinik über eine Kita verfüge – allerdings sei nur ein Drittel räumlich in das Krankenhaus integriert oder daran angegliedert. Zudem gab ein Drittel der Befragten an, dass bevorzugt Kinder von Pflege- und Verwaltungspersonal aufgenommen würden. „Wichtig ist, dass eine Krankenhaus-Kita für die Kinder all jener da ist, die Schichtarbeit leisten, von der Reinigungskraft bis hin zu den Ärztinnen und Ärzten“, betont Bühren.
Die Einrichtung einer Kita mit all diesen Voraussetzungen ist auch ökonomisch rentabel. Eine Kosten-Nutzen-Analyse des BG-Unfallklinikums Murnau auf Grundlage der Prognos-Studie „Betriebswirtschaftliche Effekte familienfördernder Maßnahmen“ förderte 2006 erstmals überraschend zutage: Obwohl der Betrieb den wesentlichen Teil der Unterhaltskosten trage, rechne sich die Kita und schlage sogar gewinnbringend zu Buche. Denn durch sie lassen sich Personalwechsel vermeiden und Ausfallzeiten minimieren, die oft auf Defizite in der Unterbringung und Versorgung von Kindern zurückzuführen sind.
Aber bereits mit Beginn der Schwangerschaft einer Chirurgin müssen Kliniken das Aufgabengebiet umplanen. Der Einsatz von Schwangeren im OP ist umstritten. In vielen Fällen werde die Mutterschutzgesetzgebung von den Gewerbeaufsichtsämtern mit einem generellen Beschäftigungsverbot im OP gleichgesetzt. „Große Krankenhäuser sind sehr wirtschaftlich ausgerichtet. Wenn eine Mitarbeiterin schwanger wird, ist dies problematisch, weil es wenig Möglichkeiten gibt, kurzfristig einen Ersatz zu finden, um den Ausfall zu kompensieren“, sagt Dr. Julia Seifert, Leitende Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) und Vizepräsidentin des BDC. Auf dem Arbeitsmarkt stünde heutzutage niemand zur Verfügung, der befristet eine Stelle antritt. Dieses Problem sei derzeit sehr schwer zu lösen.
Auch Professor Tim Pohlemann, Leiter der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg und ehemaliger DGU-Präsident, spricht die wirtschaftlichen Aspekte an. „Wenn eine Frau oder ein Mann länger in der Elternzeit bleibt oder ganz wegfällt, geht Expertise verloren. Was bedeutet es rein ökonomisch für ein Klinikum, wenn man eine Facharztstelle nicht adäquat oder gar nicht ersetzen kann?“ In seiner Unfallklinik Homburg/Saar arbeiten einige Chirurginnen, die Kinder haben. Allein im letzten Jahr sind neun Kinder auf die Welt gekommen. Hier konnten die Elternzeiten durch die anderen Mitarbeiter kompensiert werden. Doch das ist nicht überall so.
„Wir brauchen die Aufarbeitung von konkreten Beispielen“
„Das Idealbild wäre, einen Personalpool für solche Situationen vorzuhalten. In dem Moment, wo eine Kollegin eine Schwangerschaft anzeigt, würde dieser Pool bereitgehalten“, sagt Pohlemann. Hiermit wäre sichergestellt, dass mit Beginn des Mutterschutzes eine eingearbeitete Ersatzkraft hinzukäme. „Allgemein wird viel an den Rahmenbedingungen geschraubt. Aber an den konkreten Missständen ändert sich wenig. Was wir brauchen, ist eine konkrete Diskussion, in der definiert wird, was machbar ist. Ganz konkret die Aufarbeitung von Beispielen, wo es gut geht und wo nicht.“
Genau diese Diskussion wurde in Zusammenarbeit der DGU mit anderen betroffenen Fachgesellschaften – wie der Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Anästhesie – gestartet. „Die OP-Kataloge werden durchgeforstet, um die auch von Schwangeren durchführbaren Eingriffe zu identifizieren. Beim vorrangig zuständigen Bundesfamilienministerium und auch im Bundesgesundheitsministerium wird beständig die Aktualisierung der Mutterschutzverordnungen eingefordert“, berichtet Bühren.
Ein Problem für viele Frauen ist auch der Wiedereinstieg in den OP nach der Elternzeit, weil sich schon nach ein bis zwei Jahren vieles geändert hat. „Der BDC hat vor, dieses Problem anzugehen, indem er gezielt Kurse für Frauen anbieten möchte, die länger nicht am OP-Tisch standen“, sagt Seifert. Zu den Schwerpunkten der Kurse sollen neue Operationstechniken und das Wechseln von Implantaten gehören.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Teilzeitstellen in der Chirurgie eher ungewöhnlich sind. Operationen sind nur bedingt planbar. Sie beginnen auch mal verspätet oder dauern länger. Daher sind OP-Arbeitsplätze auf die Flexibilität der Mitarbeiter angewiesen. Derzeit arbeiten in der Chirurgie etwa 17 Prozent der Frauen und 9 Prozent der Männer in Teilzeit. Möglich sei dies aber vor allem im Bereich der Rettungsstelle oder der BG-Sprechstunde. Um Frauen in der Schwangerschaft, während des Mutterschutzes oder danach in Teilzeit einzusetzen, gibt Pohlemann ein Beispiel aus seiner Klinik: Eine Chirurgin arbeitet an zweieinhalb Tagen pro Woche: Montags übernimmt sie Patientengespräche, am Dienstag steht sie im OP, am Mittwoch macht sie einen halben Tag Visite.
Seifert sieht ein großes Problem vor allem in der gesellschaftlichen Akzeptanz. „Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lastet noch immer auf den Frauen. Kinder sollten aber ein gesellschaftliches Anliegen sein. Arbeitgeber müssen hier umdenken und eine Vorbildfunktion wahrnehmen.“

