Der Vorsitzende des Fachbeirates Technische Orthopädie, Matthias Bauche, plädierte zum Auftakt für mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich „überall deutlich sichtbarer Probleme“. „Wenn man hier und heute in Berlin Schüler beobachtet, die im Rahmen eines Schulklassenausflug Berlin besichtigen, und ihnen auf die Füße sieht, erkennt der Kundige bei fast jedem Kind Fußprobleme, von denen sicher ein Großteil in späteren Haltungsschäden münden wird. Der Zustand ist nach heutigem Stand der Medizin und Technik vermeidbar.“
Auch sehe er heute noch Menschen mit dem sogenannten „Steppergang“, den Patienten typischerweise nach einem Schlaganfall mit einer Fußhebeschwäche aufweisen. Letzteren könne man auch problemlos beheben. Jedoch sei das Wissen darum nicht breit genug vorhanden, so dass gar nicht, zu wenig oder mitunter sogar fehlversorgt werde. „Die Arbeit des Fachbeirates Technische Orthopädie möchte einen Beitrag leisten, durch seine Arbeit Fehlversorgungen in der Gesellschaft dingfest zu machen, die Gründe hierfür zu analysieren und in der Konsequenz entsprechende Versorgungskonzepte zu definieren und entsprechend in die praktische Umsetzung zu bringen“, sagte Bauche.
„Technische Orthopädie ist vor allem eines: Innovation“
Prof. Dr. med. Mittelmeier, stellvertretender Vorsitzender des Fachbeirates und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), hob vor allem auf die Innovationskraft des Faches ab. „Es geht darum, die technische Orthopädie in ihrer Kombination von Medizin und Technik als unwahrscheinlich innovatives Fach zu begreifen. Hier kommen die Fortschritte der Medizin mit denen der Ingenieurwissenschaften zusammen. Beide Fächer entwickeln sich seit einiger Zeit sprunghaft bis exponentiell. In der Orthopädie-Technik kommen diese beiden Entwicklungen zusammen.“
Entsprechend groß sei der Anspruch an die Ausbildung. „Da muss man als junger Mediziner oder Techniker überhaupt erst einmal mitkommen.“ Für Mittelmeier war die Veröffentlichung eines Weißbuches, das erstmals den Stand des Faches übersichtlich dokumentiert, unausweichlich. Angesichts der Innovationen unter der Bedingung begrenzter Ressourcen rücke jedoch die eine zentrale Frage in den Mittelpunkt: „Welche Versorgung ist vorzuziehen, welche ist die bessere.“ Neben der Entwicklung von Ausbildungskonzepten sieht Mittelmeier daher auch einen Schwerpunkt in der Arbeit des Fachbeirates bei der Entwicklung von Studiendesigns, die Wirksamkeit der Versorgungsalternativen durch Studien noch besser darzulegen vermögen.
„Man muss neben der Operation auch die konservative Versorgung im Köcher haben.“
Prof. Dr. med. Greitemann stellte die Defizite in der Facharzt-Ausbildung in den Fokus. „Man muss sagen, dass es gerade in der letzten Zeit im Bereich der Technik enorme Entwicklungen gibt, sodass es nicht leicht ist, hier als Verordner überhaupt up-to-date zu bleiben. Hierzu braucht es eine gemeinsame Initiative zwischen Technikern und Ärzten, um die Fortschritte gemeinsam in die Ausbildung zu bringen.“
Aus Erfahrung als Vorsitzender VTO (Vereinigung Technische Orthopädie) und der Initiative 93 reiche allein das Angebot an Ausbildung nicht aus. Zwar habe man „mehr als 1800 Kollegen vor der Facharztausbildung ein entsprechendes Know-How in technischer Orthopädie mitgeben können“, allerdings reiche dies nicht aus. „Ein Arzt, dem es nach der Facharztprüfung erlaubt ist, innovative oder teure Hilfsmittel zu verschreiben, sollte mindestens ein Basiswissen über diese Versorgung nachweisen müssen. Das ist auch heute nicht unbedingt der Fall.“ Die Arbeit in den Gremien müsse daher weiter drauf zielen, die technische Orthopädie verpflichtend in die Facharztausbildung zu integrieren und sie in den Katalog der Prüfungsfragen verbindlich aufzunehmen. Auch das kürzlich in Zusammenarbeit mit der DGOU gestartete Pilotprojekt in Baden-Württemberg, das technische Orthopädie in die Facharztausbildung integriert, sei wegweisend.
„Es geht mit dem Weißbuch auch darum, die Politik wachzurütteln: Wenn wir es in den nächsten Jahren nicht schaffen, klare Strukturen zu schaffen, werden wir entweder versorgungs- oder ausgabentechnisch in Probleme rudern.“
Klaus-Jürgen Lotz, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik und Initiator des Fachbeirates stellte auf die politischen Rahmenbedingungen ab. Mit dem Weißbuch gelte es auch die Politik wachzurütteln. „In der Politik wird gern und viel von der Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit gesprochen – zwei Sätze weiter hört man dann nur noch vom §128 und bei der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Techniker wird ausschließlich über die unberechtigte Vorteilnahme gesprochen, da stimmt etwas nicht.“
