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Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie und der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik

Endoprothetische Versorgung mit falschem Tenor im Fokus der Gesundheitspolitik

© Peter Atkins / Fotolia

Die Versorgung mit künstlichen Hüft- und Kniegelenken ist in Deutschland nicht häufiger als im internationalen Vergleich. Das belegen internationale Vergleichsdaten, die von führenden Orthopäden und Unfallchirurgen für den Versorgungsatlas der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) aktuell ausgewertet wurden und die umfassende Auskunft über den Stand der Endoprothesenversorgung in Deutschland geben.

Die von Bundesgesundheitsminister Bahr formulierte Aussage (1), Deutschland gelte als Weltmeister in der Endoprothetik, ist somit nicht zutreffend, teilt die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) mit.

Gesundheitspolitiker und Vertreter von Kostenträgern scheinen die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit künstlichen Hüft- und Kniegelenken als Problembereich ins Visier zu nehmen. Als Begründung für dringend notwendigen Regulierungsbedarf wird neben einer Häufung von Schadensfällen immer wieder eine massive Steigerung der Eingriffszahl in den vergangenen Jahren sowie eine unangemessen hohe Versorgungsrate der Bevölkerung im internationalen Vergleich zitiert - Deutschland sei "Spitzenreiter" in der Endoprothetik.

Die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik (AE) hat als wissenschaftliche Gesellschaft und Sektion der DGOU eine Qualitätsinitiative ins Leben gerufen und sieht die dringende Notwendigkeit, diese Informationen richtig zu stellen.

Häufigkeit endoprothetischer Versorgung in Deutschland
In einem „Versorgungsatlas" haben Wissenschaftler für die DGOOC erstmals internationale Vergleichsdaten über mehrere Jahre kritisch untersucht und kommen zu überraschenden Ergebnissen:

  • Die Versorgungsrate mit künstlichen Kniegelenken in Deutschland liegt zwar über den Vergleichszahlen der meisten anderen europäischen Länder, doch werden in der Schweiz und in den USA bezogen auf die Bevölkerung noch mehr Operationen durchgeführt.
  • Bei der Versorgung mit künstlichen Hüftgelenken nehmen Deutschland und die Schweiz gemeinsam einen internationalen Spitzenplatz ein. Allerdings schließen die Zahlen beider Länder nicht nur arthrose-bedingte Endoprothetik mit ein, sondern auch die Versorgung von Schenkelhalsbrüchen. Daraus resultiert möglicherweise eine zu hohe Angabe für Deutschland und die Schweiz im internationalen Vergleich.
  • Entgegen anderslautender Berichte ist die Zunahme der Versorgungsrate mit Endoprothesen in Deutschland seit 2004 nur äußerst gering und wird von anderen Ländern deutlich übertroffen.
  • Insgesamt weisen die zum Vergleich herangezogenen Zahlen aus internationalen amtlichen Datenquellen eine sehr heterogene Qualität auf (z.B. fehlende Altersbereinigung), sodass direkte Vergleiche sehr problematisch sind.
  • In Deutschland selbst ist die Versorgungshäufigkeit regional sehr unterschiedlich und die Ursachen dafür sind noch zu klären.

Die Versorgung mit künstlichen Gelenken gehört zu den effektivsten Behandlungsmaßnahmen in der modernen Medizin. Eine auf offensichtlich falschen Daten beruhende öffentliche Diskussion mit dem Tenor der generellen „Überversorgung" hierzulande verunsichert Patienten und kann bei Fehlentscheidungen eine angemessene bzw. richtig indizierte medizinische Behandlung gefährden.
 
Qualitätsinitiative der AE
Endoprothetische Versorgung schenkt Millionen von Patienten Lebensqualität und Mobilität über viele Jahre. Damit fördert sie die Gesamtgesundheit und ist insgesamt ein sehr sicheres Behandlungsverfahren. Dennoch ist keine medizinische Technologie ohne spezifische Risiken und dies gilt auch für den Gelenkersatz. Gerade in Anbetracht der häufigen Anwendung ist die Qualitätssicherung in der Endoprothetik deshalb von enormer Bedeutung. Risken und Schadensfälle müssen transparent erfasst und analysiert werden. Darauf aufbauend gilt es, fortlaufende Verbesserungs- und Vermeidungsstrategien zu entwickeln.
Die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik hat hier eine „Qualitätsoffensive" initiiert, die aus mehreren Schritten besteht. Ihre Mitglieder, die einen Großteil der endoprothetischen Spezialversorgung in Deutschland vertreten, versuchen mit mehreren Maßnahmen die noch nicht flächendeckende Meldung von Schadensfällen zu verbessern, um damit eine transparente Bearbeitung zu unterstützen. Das Deutsche Endoprothesenregister sowie die kurz vor der Einführung stehende Initiative zur Zertifizierung von Endoprothetikzentren werden durch gezielte Projekte in der AE unterstützt, um größtmögliche Qualität in der Versorgung zu erreichen. Auch wurde gemeinsam mit der European Federation of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) aktuell eine internationale Expertenkonferenz zu Metall-Metall-Gleitpaarungen durchgeführt, um Versorgern und betroffenen Patienten eine klare Empfehlung zu adäquaten Maßnahmen an die Hand zu geben. Schliesslich ist eine wichtige Konsequenz aus der aktuellen Diskussion die dringende Notwendigkeit einer Entwicklung von allgemein anerkannten Leitlinien zum Einsatz künstlicher Gelenke. Nur wenn es gelingt, die heute noch teilweise unterschiedlichen Empfehlungen zu bündeln und auch in Deutschland verbindlich zu machen, kann die unselige und von unterschiedlichen Interessen geleitete Diskussion um Überversorgung und Qualitätsmängel beendet werden.

Künftiger Entwicklungsbedarf
Auch wenn heute verfügbare Kunstgelenke bereits sehr gute Standzeiten aufweisen, kommt es infolge zunehmender Lebenserwartung der körperlich oft sehr aktiven Patienten zu steigenden Ansprüchen an die Belastbarkeit von Material und Verankerung. Eine Weiterentwicklung von Operationstechniken und Implantaten ist deshalb laut Professor Dr. Wolfram Mittelmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, im Sinne der Betroffenen und sollte nicht mit unkritischen Hinweisen auf hohe Versorgungszahlen blockiert werden.
Allerdings muss die Einführung von Innovation besser als bisher durch konstruktive gesundheitspolitische Maßnahmen begleitet werden. Dazu gehört z.B. die Einführung von Innovationszentren mit einer engen Überwachung neuer Verfahren vor ihrer Einführung in die Regelversorgung. Damit ist eine weitere Optimierung in der Endoprothetik mit gleichzeitig sicherer Anwendung und hoher Qualität in der Routineversorgung leistbar.

(1) Äußerung in einem Interview mit der Rheinischen Post vom 1. Mai 2012


Pressekontakt für Rückfragen:

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther
Präsident der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik (AE)
AE-Geschäftsstelle
Oltmannsstraße 5
79100 Freiburg
Telefon: 0761/45647666
sekretariat(at)ae-germany.com

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