Rund ein Jahr lang hatten Orthopäden und Unfallchirurgen gemeinsam mit erfahrenen Coaches von Lufthansa Flight Training (LFT) am Konzept für diesen Kurs gefeilt, in dem der „Faktor Mensch“ im Vordergrund steht. Vorbild war die Luftfahrt. Bereits in den 1970er Jahren hatte man dort spezielle Trainingsprogramme für Flight Crews eingeführt, in denen die sogenannten Human Factors eine große Rolle spielen. Mittlerweile sind solche Kurse in der Luftfahrt verpflichtend.
Doch was sind die speziellen Anknüpfungspunkte für Orthopäden und Unfallchirurgen? Wo gibt es Analogien, wo liegen die Unterschiede zur Luftfahrt? Um dies zu erkunden, hatte das Junge Forum der DGOU im Vorfeld der Kursgestaltung eine Umfrage unter allen Mitgliedern der Fachgesellschaft durchgeführt, die ergab: Zeitdruck, mangelnde Kommunikation, Personalmangel und Stress sind die Faktoren, die junge wie ältere Chirurgen am häufigsten als Ursache für Fehler identifizierten – ganz ähnlich wie in der Luftfahrt. 70 Prozent der Fehler insgesamt ließen sich auf „Human Factors“ zurückzuführen. „Interpersonelle Kompetenzen sind extrem wichtig in unserem Beruf“, sagt IC-Instruktor Dr. Matthias Münzberg, der die Umfrage auf den Weg gebracht hatte. „Aber man erkennt aus den Ergebnissen der Umfrage auch genau, dass dies noch nicht in allen Krankenhäusern und in allen Hierarchien angekommen ist.“
Verbesserung der Kommunikation
Dieses Manko offenbarte sich auch gleich am ersten IC-Kurstag bei der Erfragung der Erwartungshaltungen bei den Teilnehmern: Verbesserung der Kommunikation im Klinikteam, Verbesserung im Umgang mit Fehlern – dies waren die am häufigsten formulierten Wünsche an die Kursinhalte.
Mit einem exakt auf die Zielgruppe zugeschnittenen Filmclip über die Ereignisse und Teamhandlungen bei einer vermeintlichen Routine-OP stiegen die Teilnehmer inhaltlich gleich in das ein, was sie später in Gruppenarbeit aktiv erarbeiten sollten: den Umgang mit Zeitdruck, Egos, Hierarchien und Fokussierungen. „Wir alle haben häufig ein Mindset im Kopf, in dem wir verharren“, erklärte Kursinstruktor Prof. Bertil Bouillon zum Auftakt der Diskussion. Wichtig sei es, neben Fachwissen und Fertigkeiten auch interpersonelle Kompetenzen zu einem größeren Prozentsatz zu standardisieren. Insbesondere für Situationen, die plötzlich und unter Zeitdruck sehr unterschiedliche Anforderungen an das gesamte Team stellten. Dazu gehöre auch immer die Frage, wer wofür die Verantwortung trägt.
Aber Denkschablonen wirken nicht nur bei Handlungen und Ereignissen, sondern ebenso bei Menschen, die uns begegnen. „Wir filtern nach dem ersten Eindruck einer Person und neigen zu Urteilstendenzen“, erklärte LFT-Trainer Steffen Dias, der schon seit Jahren Flight Crews zur Thematik Human Factors schult. Dies bestätigten dann auch die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen, die mit Fotos zu Standardsituationen aus der Klinik ausgestattet wurden, die sie zu beurteilen hatten.
Hin zu einer neuen Sicherheitskultur
Doch wie funktioniert eine effektive Zusammenarbeit? Bei einem kreativen Wettbewerb in kleinen Teams zeigten sich ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die zu lösende Aufgabe. Ausgestattet mit filigranem Material, das zu verarbeiten war, hatten die einen sich gleich zu Beginn auf einen Teamleader verständigt, bei den nächsten ergab sich die Rollenverteilung automatisch, die einen kamen mit Trial and Error zum Ziel, wieder andere wägten zunächst theoretisch ab, bevor sie unter Zeitdruck kreativ wurden. Sogar die für die Lösung erforderliche Arbeit mit den Händen fiel ganz unterschiedlich intensiv aus, je nach Muster des Teambuildings. Welche Herangehensweise hierbei den meisten Erfolg verzeichnete, sei hier nicht verraten.
Zu einem funktionierenden Miteinander gehört aber auch, potenziellen Missverständnissen auf allen Ebenen der Kommunikation vorzubeugen. Anhand verschiedener Kommunikationsmodelle und deren Diskussion mit den Teilnehmern veranschaulichten die Instruktoren, wie jeder Einzelne im Klinikalltag kommunikative Warnsignale besser wahrnehmen und Störfaktoren entgegenwirken kann. Hierbei kam auch unter die Lupe, welche detaillierten Handlungsempfehlungen für den täglichen Gebrauch den künftigen Kursteilnehmern in einer Art IC-Werkzeugkoffer an die Hand gegeben werden könnten.
Der zweite Kurstag begann, wieder mit medialer Unterstützung, mit der Beleuchtung verschiedener Facetten des Fehlermanagements. „Eigentlich möchten wir langfristig aber weg vom reinen Fehlermanagement, hin zu einer neuen Sicherheitskultur“, sagte Bouillon. Auch wenn die meisten Kliniken mittlerweile das CIRS-Meldesystem nutzten und das „Team-time-out“ als letzte Sicherheitsstufe im OP etabliert sei, um Verwechslungen etc. vorzubeugen, seien Fehler immer noch zu einem zu großen Prozentsatz an der Tagesordnung.
Eine andere Kommunikationsstruktur entwickeln
Und so stand vor allem die Fehlerprävention auf der Tagesordnung. Wie kündigen sich Fehler an? Wie lassen sie sich kategorisieren? Welche werden individuell, welche teamspezifisch ausgelöst? Rund um die Stichworte Threats, Errors und Critical Situations wurden hierbei Pläne und Gegenmaßnahmen ausgelotet.
Auch die Arbeitsmethodik selbst kam in den Blick. Am filmischen Beispiel eines schwer überlastet wirkenden Chirurgen ging es um die Fragen, wie einfache Prinzipien des Zeit- und Workload-Managements bei der Bewältigung des Arbeitsalltags helfen können: Wie trenne ich Wesentliches von Unwesentlichem? Was ist aufschiebbar oder delegierbar, was nicht? Und was habe ich mir selbst eingebrockt, zum Beispiel durch mangelnde Vorbereitung?
„Be prepared“ – ein einfacher Satz, aber vielleicht eine der wichtigsten generellen Devisen, wie Instruktoren und Teilnehmer gemeinsam festhielten. Anhand zahlreicher Beispiele aus der täglichen Praxis beleuchteten sie, wie eine gute Vorbereitung die Arbeitsabläufe im Klinikalltag effizienter gestalten lässt, von wichtigen Fragen zur Diagnosestellung bis hin zur rechtzeitigen und detaillierten Vorbereitung auf OPs. Denn Orthopäden und Unfallchirurgen kommunizieren und arbeiten im Arbeitsalltag täglich mit ganz verschiedenen Menschen – mit Kollegen aus verschiedenen Berufsgruppen, mit Vorgesetzten, mit Patienten und deren Angehörigen. So unterschiedlich diese Zielgruppen, so unterschiedlich auch die Aufgabengebiete, für die entsprechende Kapazitäten eingeplant werden müssen.
Das Fazit: Teilnehmer wie Instruktoren haben von den intensiven Kurstagen profitiert. Durch das Feedback der Testteilnehmer und die Profilierung in der Praxis konnten die Instruktoren hier und da noch Feinjustierungen im Konzept vornehmen. Und die Teilnehmer nahmen viele Denkanstöße mit nach Hause. Dies soll aber erst der erste Schritt auf dem Weg zum Interpersonal-Management-Profi sein, denn nach Kurs 1 sind im IC-Gesamtkonzept noch drei Ausbaustufen über die gesamte berufliche Laufbahn vorgesehen – vom Assistenzarzt bis zum Chefarzt. „Wir brauchen einen langen, aber stetigen Weg, um eine andere Kommunikationsstruktur zu entwickeln“, resümierte Bouillon. „Nicht nur im OP, sondern ebenso auf der Station.“
Miriam Buchmann-Alisch
Die nächsten Kurstermine:
11. bis 12. September 2015
30. bis 31. Oktober 2015
13. bis 14. November 2015
Veranstaltungstipp:
21. Oktober 2015, 11:00 Uhr, FO19
Offizieller Launch des Kurses „Interpersonal Competence by DGOU und Lufthansa Flight Training”
Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin

